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«Die Christen werden diskriminiert»

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Sunday ,12 June 2011

«Die Christen werden diskriminiert»

Ägypten/ Ezzat Boulos aus Wallisellen erlebte die Revolution in Ägypten hautnah mit. Der koptische Menschenrechtsaktivist sieht sein Land vor einem Aufbruch – und ist doch skeptisch!

Ezzat Boulos, Sie waren von Januar bis Mai in Ägypten. Wie haben Sie den «ägyptischen Frühling», die Revolution, erlebt?
Ich war bereits vor Beginn der Demonstrationen im Land. Als die ersten Kundgebungen einsetzten, teilte ich die Meinung vieler, dass die Regierung die Protestbewegung im Keim ersticken werde.
 
Eine Fehleinschätzung!
Genau, denn am 25. Januar waren es nicht mehr nur ein paar Tausend Demonstranten, sondern mehrere Hunderttausend – vor allem Jugendliche aus den Mittelschichtfamilien. Sie alle forderten Freiheit und Gerechtigkeit. Von diesem Tag an kam es dann auch zu Polizeieinsätzen, die mit voller Härte erfolgten – mit dem Einsatz von Gummischrot, Tränengas und Wasserwerfern. Hunderte von Todesopfern waren die Folge. Ab 28. Januar weiteten sich die Manifestationen auf ganz Ägypten aus; die Demonstanten forderten nun nicht mehr nur Reformen, sondern einen Regierungswechsel.
 
Sie waren in Kairo auf dem Tahrirplatz dabei?
Ja, es war eindrucksvoll zu sehen, wie die Menschen dem Druck standhielten und so lange nicht zurückwichen, bis Mubarak gestürzt war.
 
War es ein Zufall, dass Sie sich gerade zu der Zeit in Ägypten aufhielten?
Ich lebe in der Schweiz, bin aber auch oft in Ägypten. Als Chefredaktor der Onlinezeitung «Copts United» habe ich dort vierzig Angestellte. 2010 war ich wahrscheinlich die Hälfte des Jahres dort. In dieser Zeit des Umbruchs wird es natürlich sehr viel öfter sein.
 
Damals, bei Beginn der Revolution …
… war mir klar: Ich bleibe jetzt hier, um diesen Epochenwechsel zu erleben und zu sehen, wie die Dinge sich entwickeln.
 
Und, wie werden Sie sich entwickeln? Gegenwärtig wird ja die neue Verfassung ausgearbeitet.
Es muss jetzt eine total neue Verfassung erarbeitet werden – zu einem Flickwerk an der alten darf es nicht kommen. Und die Verfassung muss von Personen erarbeitet werden, die sich in juristischen und politischen Angelegenheiten auskennen – nicht von denjenigen, die ihr eine religiöse Ausrichtung verpassen wollen. So kann es beispielsweise nicht sein, dass die Scharia in der ägyptischen Verfassung ein Teil der Rechtsgrundlage ist, wie das bisher der Fall war. Es kommt jetzt darauf an, einen wirklich zivilen Staat zu gestalten. Auch die Jugendlichen haben das seit dem 25. Januar bei ihren Demonstrationen gefordert.
 
Also Demokratie für Ägypten und die Trennung von Staat und Religion?
Ja, ein religiös regierter Staat ist für viele Ägypter nicht akzeptabel, ein ziviler wird dagegen von der Mehrheit der Menschen befürwortet.
 
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage der religiösen Minderheiten in Ägypten?
Die grösste Minderheit im Land sind die Christen. Und die werden und wurden immer schon benachteiligt und diskriminiert.
 
Können Sie Beispiele nennen?
Einmal die Vergabe von staatlichen Stellen durch die Behören. Christen haben fast keine Möglichkeit, bei der Polizei, im Innen- und Aussenministerium eine solche Stelle zu erhalten. Es gibt zum Beispiel an den 42 Universitäten keinen einzigen christlichen Rektor. Oder Arbeitgeber sagen, dass sie für eine Stelle unbedingt Frauen mit Kopftuch wollen – so scheiden Christinnen von vornherein aus.
 
Aber der koptische Glaube kann in Ägypten immerhin frei gelebt werden?
Nehmen wir den Bau einer Kirche. Wenn Kopten eine Kirche bauen wollen, bekommen sie häufig keine Bewilligung dafür. Falls sie sie doch erhalten, melden sich oft Beamte des Innenministeriums und sagen: Auch wenn der Staat diese Kirche bewilligt hat, darf sie aus Sicherheitsaspekten nicht gebaut werden: Die Muslime in der Nachbarschaft könnten sich beleidigt fühlen, und es würden deswegen Unruhen entstehen. Es gibt auch ein Gesetz, dass eine Kirche nicht in der Nähe einer Moschee gebaut werden darf.
 
Geben viele Kopten da nicht einfach auf?
Besonders unter den Jugendlichen gibt es den starken Wunsch auszuwandern. Nach den Brandanschlägen in Kairo und in Oberägypten haben manche die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren und wollen ihr Glück im Ausland versuchen. Aber die Türen stehen weder den auswanderungswilligen Christen noch anderen Ägyptern weit offen.
 
Und was ist mit denen, die im Land bleiben? Versuchen die Kopten, vor den Wahlen eine politische Partei zu gründen?
Wir sind ein Teil der ägyptischen Gesamtgesellschaft und wollen zusammen mit liberalen Muslimen eine politische Plattform bilden. Die Kopten werden sich jetzt mehrheitlich den liberalen Parteien anschliessen. Wir wollen uns als Nation nicht auseinanderdividieren lassen.
 
Das Militär will bereits im September Wahlen abhalten. Reicht den säkularen Kräften diese Zeit, damit sie sich organisieren können?
Es wird für die liberalen Strömungen sehr schwierig sein, sich bis dahin in Parteien zu sammeln. Deshalb wäre es uns lieber, die Wahlen würden später stattfinden. Interview: Jürgen Dittrich, Delf Bucher
 
Ezzat Boulos ist Chefredaktor der Onlinezeitung «Copts United» (siehe unten). Zugleich engagiert er sich in der Stiftung Coptic Foundation for Human Rights, die sich für die Rechte der Kopten in Ägypten starkmacht. Boulos ist ägyptisch-schweizerischer Doppelbürger, verheiratet und hat vier Kinder. Er lebt in Wallisellen.
 
Eine koptische Stimme
Die Internettageszeitung «Copts United» erscheint in arabischer und englischer Sprache. Die Zeitung berichtet über die Lage der Kopten in Ägypten sowie über Menschenrechtsverletzungen. Der Redaktionssitz der Zeitung ist Kairo, dort sind insgesamt vierzig Journalisten und Techniker beschäftigt.